Nach einer kurzen Nacht mit wenig Schlaf verließen die deutschen Handballer fast Hals über Kopf und ohne die erhoffte Medaille das olympische Dorf in Tokio.
Schon am Mittwochmittag (Ortszeit) saßen Bundestrainer Alfred Gislason und seine tief enttäuschten Schützlinge im Flugzeug gen Heimat – die Stimmung an Bord dürfte nach der deftigen 26:31-Pleite im Viertelfinale gegen Ägypten eher frostig gewesen sein. „Wir haben unser Ziel Halbfinale nicht erreicht. Das ist schon enttäuschend“, sagte Gislason kurz vor dem Abflug.
Sportvorstand kündigt Analyse an
Auch beim sechsten Großereignis seit Olympia-Bronze 2016 in Rio ging die DHB-Auswahl leer aus. Die Weltspitze ist zwar nicht weit weg, aber seit einigen Jahren eben doch unerreichbar. „Wir werden uns zusammensetzen und analysieren, woran es fehlt, um ganz oben anzuklopfen. Was fehlt, um die optimalen Leistungen herauszukitzeln“, kündigte DHB-Sportvorstand Axel Kromer eine intensive Aufarbeitung des Turniers an.
Wieder einmal blieb die deutsche Mannschaft unter ihren Möglichkeiten – wofür es viele Gründe gibt. Nach einer Monster-Saison in der Bundesliga mit 38 Spieltagen fehlte dem Bundestrainer die Zeit für eine optimale Vorbereitung und den Spielern im entscheidenden Moment die Kraft. „Wir wollen Erfolg haben, aber wir haben keine Zeit, daran zu arbeiten. Und man hat gesehen, dass einige Spieler sehr viel gespielt haben und ein bisschen ausgelaugt waren“, sagte Gislason und fügte resignierend hinzu: „Ich habe es schon vor zehn Jahren aufgegeben, mich über zu viele Spiele zu beklagen.“
Gensheimer kein Faktor
Hinzu kommen seit Jahren individuelle Nachteile im Aufbauspiel, wo die Top-Nationen wesentlich stärker besetzt sind. „Wir haben deutlich weniger Wurfkraft aus dem Rückraum als die anderen Mannschaften“, räumte Gislason ein. Und dann gibt es noch die mentale Komponente. „Wir haben Topspieler, aber die tun sich manchmal schwer, in der Nationalmannschaft auch so zu performen“, sagte Kromer.
Zu denen gehörte in Tokio einmal mehr Kapitän Uwe Gensheimer. Der Linksaußen verbrachte wesentlich mehr Zeit auf der Bank als auf dem Parkett und war überhaupt kein Faktor im deutschen Spiel. „Von Kapitän Uwe Gensheimer hätte ich mir sicherlich mehr Durchsetzungskraft, aber auch mehr Einsatzzeiten gewünscht“, sagte Ex-Bundestrainer Heiner Brand im Sport1-Interview.
In der Krise sieht der 69-Jährige, der die DHB-Auswahl 2007 zum WM-Triumph geführt hatte, den deutschen Handball trotz des frühen Scheiterns aber nicht. „Er steht sicherlich nicht ganz oben, das kann man nach den letzten Resultaten sagen. Aber er gehört immer noch in die Spitze hinein“, sagte Brand. Allerdings: „Man muss sich schon Gedanken machen und die Gründe für die fehlenden Resultate bei den vergangenen Turnieren analysieren.“
Keine personelle Zäsur erwartet
Genau das haben Gislason und Kromer in den kommenden Wochen vor. „Wir werden intern besprechen, welche Wege wir gehen können“, sagte der Sportvorstand. Immerhin steht in fünf Monaten schon wieder die Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei an. „Jetzt müssen wir uns neue Ziele setzen“, sagte DHB-Vorstandschef Mark Schober.
Eine personelle Zäsur erwartet Gislason nicht. „Es ist schwer zu sagen, wie die Zukunft des Teams aussieht. Es sind aber keine Leute dabei, von denen man sagen könnte, dass sie direkt aufhören müssten“, betonte der Bundestrainer.
Ähnlich bewertet DHB-Vizepräsident Bob Hanning die Situation: „Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass wir in gleicher Besetzung in den nächsten Jahren spielen werden. Aber ich glaube, dass das Gerüst dieser Mannschaft bestehen bleibt.“ Zunächst gehen die Nationalspieler in einen kurzen Urlaub, ehe in vier Wochen schon wieder die neue Bundesligasaison beginnt. Die Terminhatz geht also ohne große Atempause weiter.