Maik Machulla war anzumerken, wie sehr er den Erfolg auskostete. Im Presseraum ließ er sich viel Zeit für ein „Derbybier“. Den Moment am liebsten festhalten, zur Ruhe kommen nach den Chaostagen mit einer Vorbereitung unter denkbar schlechten Bedingungen. „Das werde ich genießen“, sagte der Trainer der SG Flensburg-Handewitt nach dem 31:28 (17:15)-Sieg über den THW Kiel in der Handball-Bundesliga.
Ausfall von Niklas Landin
Katzenjammer dagegen beim Meister. „Wir haben das gesamte Spiel über nicht richtig stattgefunden. Uns fehlte es an Intensität“, befand THW-Trainer Filip Jicha. „Man muss eingestehen, dass Flensburg verdient gewonnen hat.“ Der Ausfall von Torhüter Niklas Landin wog schwer bei den Gästen. Oldie Mattias Andersson hielt gegen seinen Ex-Verein sehr respektabel, aber er konnte nicht den Unterschied machen wie Welthandballer Landin. Machulla räumte ein, dass es nicht zum Nachteil für die SG war, dass „der beste Torhüter der Welt“ gefehlt hatte.
Dennoch hätte es für die Kieler reichen müssen gegen Flensburger, die auf fünf Stammkräfte verzichten mussten und den Kader nicht einmal quantitativ ergänzen konnten. Doch die behielten den THW souverän im Griff, so dass der beste Kieler Sander Sagosen, staunte: „Von Beginn an wurden wir unter Stress gesetzt und konnten uns nicht dagegen wehren.“ Nach dem 16:15 in der 28. Minute gab die SG die Führung nicht mehr ab.
Weiterlesen: SG gegen THW – ein Blick in die Historie des Handball-Klassikers
Psychologischer Effekt
Das 47. Heimspiel in Folge ohne Niederlage war Machullas Ziel trotz der Personalmisere mit drei Langzeitverletzten und zwei Spielern in Quarantäne. „Wir legen uns nicht aufs Parkett und warten darauf, dass wir überfahren werden“, sagte Machulla. Was der Erfolg für die Meisterschaft bedeutet, ist noch nicht abzusehen. Die Flensburger liegen mit einem Punkt vorn, aber erst die Hälfte aller Spiele ist absolviert. Höher als die Rückeroberung der Tabellenführung bewertet Machulla den psychologischen Effekt des Sieges.
Das gelingt mit Willenskraft und Effizienz. Jim Gottfridsson etwa hatte keinen guten Einstieg ins Spiel, nervös und fehlerhaft agierte er zu Beginn. Dennoch schwang er sich rechtzeitig wieder zum genialen Spielmacher auf. Oder Hampus Wanne: Der Linksaußen gibt die ultracoole Tormaschine, auch in so einem bedeutungsschweren Spiel. Oder Göran Sögard: Der Norweger hatte unglückliche Momente mit verlorenen Bällen und Fehlwürfen. Aber er gab nie auf, versuchte es immer wieder und belohnte sich mit vier Treffern, darunter ein ganz besonderer in der 57. Minute, als er in Zeitnot den Ball zum 29:26 unter die Latte knallte – da war der THW so gut wie geschlagen.
THW-Abwehr geriet aus dem Takt
Den Kielern bekam es nicht gut, dass sich Hendrik Pekeler und Pavel Horak verletzten. Die Abwehr, in der Jicha bis hin zum sehr offensiven 3-2-1 vieles probierte, geriet aus dem Takt.
Besser verkraftete es die SG, dass sich Magnus Röd bei einem Zusammenprall mit Sagosen eine Knieblessur zuzog und fortan nur noch bedingt einsatzfähig war. Für ihn sprang Alexander Petersson ein. „Er sollte nicht so früh und nicht so lange spielen“, sagte Machulla, der sich dann aber an einer Top-Leistung des 40 Jahre alten Isländers erfreute.
Nach sechs Wochen Verletzungspause erzielte der Linkshänder schnell ein Tor und klaute dem THW einen Ball. „Da habe ich mich gleich breiter und größer gefühlt“, grinste Petersson.
Am Sonntag rief Machulla sein Team schon wieder zum Training. Den Tag wollte er für Krafteinheiten nutzen, für die sonst keine Zeit mehr ist. Am Montag ist frei, bevor es am Dienstag wieder mit den aus der Quarantäne zurückkehrenden Mads Mensah und Simon Hald in die Vollen geht.
Die Reaktionen
Jim Gottfridsson (SG-Spielmacher): „Wir probieren immer, Schwächen in der Kieler Verteidigung zu finden, und das ist uns heute besser gelungen als im Hinspiel.“
Mattias Andersson (THW-Torwart und Torwarttrainer): „Die Flensburger waren heute besser. Sie waren klarer im Kopf und in den entscheidenden Momenten da. Wir haben nicht die Leistung gebracht, die in einem Derby gefordert ist.“
Lasse Svan (SG-Kapitän und Rechtsaußen): „Es gibt kein besseres Gefühl als nach einem Derbysieg. In der Abwehr haben wir die Kieler Würfe dahin gesteuert, wo wir sie haben wollten. Im Angriff waren wir effektiver. Insgesamt haben wir eine gute Mischung aus Tempo und ruhigeren Phasen gefunden. Es hat viel Kraft gekostet, aber das war es wert.“
Patrick Wiencek (THW-Kreisläufer): „Wir haben eine Menge probiert, aber es gibt Tage, da läuft nicht viel. Gott sei Dank ist Mittwoch wieder Champions League.“
Dierk Schmäschke (SG-Geschäftsführer): „Wir haben eine geile Truppe. Sie macht so viel Spaß. Es ist echt beeindruckend, wenn man bedenkt, wer heute gefehlt hat. Aber wer als Geschäftsführer der SG nicht an den Derbysieg glaubt, wäre falsch auf dem Posten.“
Ein Kommentar von Jannik Schappert Jammern ist keine Option Mit ihrem letzten Aufgebot stößt die SG Flensburg-Handewitt den THW Kiel vom Tabellenthron. Ein bisschen Wehmut kommt auf beim Gedanken daran, was am Sonnabend in normalen Zeiten in der Hölle Nord los gewesen wäre. Ja, der THW war weit weg von seiner Bestform. Dennoch ist es bemerkenswert, wie die SG dieses Derby für sich entschieden hat. Maik Machulla hätte vorab angesichts der widrigen Umstände jammern und sich schon einmal Ausreden für die mögliche erste Heimniederlage seit Dezember 2017 bereitlegen können. Doch nichts liegt dem SG-Coach ferner. Fünf Ausfälle? Nicht zu ändern – dann müssen eben andere Lösungen her. Diese Herangehensweise fußt auf einem unerschütterlichen Glauben an die eigene Stärke, den sich die SG über die Jahre angeeignet hat. Äußerliche Einflüsse tangieren die Flensburger kaum. Sie machen ihr Ding, sei die Situation noch so unbequem. Das verdient höchsten Respekt. |