Köln (dpa) – Eine Sache ist so gut wie sicher: Auf dem Weg zur nächsten Handball-Meisterschaft führt wohl kein Weg am THW Kiel vorbei. Die Verantwortlichen der 20 Bundesligisten halten in einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur fast alle den THW für den großen Titelfavoriten.
Das ist aber auch alles, was klar scheint. Denn ob die am Donnerstag beginnende 1. Oktober Spielzeit überhaupt zu Ende gebracht werden kann, weiß aktuell niemand. Wie viele der wirtschaftlich ohnehin kriselnden Clubs einen erneuten Saisonabbruch überhaupt überleben würden, ist ebenfalls unklar. Er hätte jedenfalls drastische Folgen.
«Ein weiterer Lockdown wäre kaum noch zu verkraften», sagt etwa Bob Hanning, der Geschäftsführer der Füchse Berlin. Marc-Henrik Schmedt, der Manager des SC Magdeburg, rechnet damit, dass die Liga und damit auch die Vereine einen zweiten Abbruch «nicht überstehen» würden. Die HBL steht nicht nur aus diesem Grund vor der außergewöhnlichsten und schwierigsten Spielzeit ihrer Geschichte. Es gibt etliche Fragezeichen, die den Neustart und die Monate danach begleiten. Es gibt aber auch Hoffnungsschimmer, die den Clubs und ihren Verantwortlichen zumindest etwas Mut machen.
Dass wieder vor ein paar Zuschauern gespielt werden kann, begrüßen die meisten Clubs. Die bis Ende Oktober geltende 20-Prozent-Regelung wird aber nur als erster Schritt angesehen. Für die Zukunft wünsche sich die gesamte Branche «natürlich mehr Zuschauer», sagt HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann. Er hofft daher, «dass wir die Probephase bis Ende Oktober gut abschließen, dann die Zahl der Zuschauer an allen Bundesligastandorten erhöhen können». Kiels Aufsichtsratschef Marc Weinstock wird noch deutlicher: «20 Prozent Zuschauer helfen uns nicht wirklich weiter.» Der THW arbeitet bereits an Plänen, um mehr Fans in die Halle zu bekommen.
Die Rhein-Neckar Löwen dagegen werden ohne Zuschauer starten, weil bei ihnen die Zeit nicht ausreichte, um das Hygienekonzept an die 20-Prozent-Regelung anzupassen. Nicht nur bei den Mannheimern wurde und wird gerechnet, wie sich mit den wenigen Zuschauern zumindest etwas Geld verdienen lässt. Manche Vereine dürften trotz einiger Hallenbesucher an den ersten Spieltagen sogar leichte Verluste einfahren, weil etwa die Hallenmiete oder andere Kosten die vergleichsweise geringen Zuschauereinnahmen übersteigen. Darum hofft nicht nur Lemgos Manager Jörg Zereike, «dass so schnell wie möglich wieder vor unbegrenzten Kapazitäten gespielt werden kann.«
Es rechnet jedoch kaum einer der Clubbosse damit, dass das in dieser Saison noch gelingen wird. Man müsse sich nun langsam herantasten, meint Füchse-Manager Hanning. Angesichts der engen Spieltaktung wird es jedenfalls genügend Möglichkeiten geben, die entsprechenden Konzepte mit einem Teil an Zuschauern zu testen. Durch die Aufstockung der Liga von 18 auf 20 Teams wird es noch mehr Partien als sonst geben, hinzu kommen der ebenfalls eng getaktete Länderspielkalender sowie für die Spitzenclubs die Spiele im Europapokal. Bundestrainer Alfred Gislason spricht deshalb von einer «ganz besonderen Saison durch die Wettkampfdichte».
Obwohl sein Ex-Club THW Kiel zu den Vereinen zählt, die in dieser ungewöhnlichen Spielzeit am meisten gefordert sein werden, gilt der Rekordchampion als großer Favorit auf den Titel. Nach der Verpflichtung des norwegischen Weltklasseprofis Sander Sagosen dürfte der Titelverteidiger sogar noch stärker sein als in der vergangenen Saison. Trotzdem gibt sich zumindest die SG Flensburg-Handewitt kämpferisch: «Wir und auch andere Mannschaften möchten sicherlich ein gehöriges Wörtchen um die Meisterschaft mitreden», sagt Geschäftsführer Dierk Schmäschke. Ob das gelingen wird, ist offen – wie so viele andere Dinge in dieser außergewöhnlichen Saison.
Gislason erwartet eine spannende Spielzeit: Für den 61 Jahre alten Isländer haben in den Füchsen Berlin, den Rhein-Neckar Löwen, dem SC Magdeburg, der MT Melsungen, der SG Flensburg Handewitt und Titelverteidiger THW Kiel gleich sechs Teams die Möglichkeit, um den Titel zu spielen. «Diese Saison ist wirklich schwer vorauszusagen», sagte Gislason in einem Interview mit den «Kieler Nachrichten».
Zudem macht sich der Gislason Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft der Clubs. Sollte es coronabedingt zum Beispiel zu einer Rückrunde ohne Zuschauer kommen, «müsste die Hälfte der Liga ums Überleben kämpfen».
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