Erlangen (dpa) – Mit einem fetten Schlüsselbund in der Hand bittet Carsten Lichtlein in den Analyseraum der Karl-Heinz-Hiersemann-Halle in Erlangen.
«Jetzt wird’s ein bisschen wie in der Schule», scherzt der 39 Jahre alte Handball-Riese beim Aufsperren des dunklen Zimmers, in dem neben einem Beamer zum Studium der Videobilder auch noch ein Overhead-Projektor seinen Platz findet. Torhüter Lichtlein, 2,02 Meter groß und 100 Kilogramm schwer, wirkt abgesehen von seiner furchteinflößenden Statur und den riesigen Händen nicht besonders – er fühlt sich auch nicht so. An diesem Sonntag wird er sich trotzdem als Rekordspieler in den Geschichtsbüchern der Bundesliga verewigen.
«Klar ist es eine Ehre, wenn man den Rekord wirklich bricht. Ich würde aber sagen, dass es nicht das Wichtigste im Leben ist, dass man Rekorde hat. Es ist ja immer auch noch ein Spiel an dem Tag», sagte der Routinier der Deutschen Presse-Agentur. Das Gastspiel bei GWD Minden am Sonntag wird Lichtleins 625. Bundesliga-Einsatz sein. Er zieht damit mit Ex-Keeper und Rekordhalter Jan Holpert gleich.
Lichtlein absolviert beim HC Erlangen derzeit seine 20. Spielzeit, Krankheiten oder Verletzungen scheint es bei ihm nicht zu geben. «Ich war immer da, habe alles mitgemacht und durchgezogen. Dass der Körper das mitmacht, davor muss man den Hut ziehen», sagte er.
Seinen Wechsel nach Erlangen erklärt der Weltmeister von 2007 und zweimalige Europameister mit sportlichen und familiären Motiven. Der gebürtige Würzburger lebt nun näher bei seiner Frau und den beiden Söhnen, ohne die er im Alltag schon seit Jahren auskommen muss. Lichtlein war alleine im Lemgo, alleine in Gummersbach und ist nun alleine in Erlangen – immerhin mit kurzen Wegen: Nach Würzburg, wo auch seine Handball-begeisterten Eltern wohnen, braucht er eine Stunde, an der Trainingshalle ist er zu Fuß in ein paar Minuten.
Mit 39 zählt sich Lichtlein noch lange nicht zum alten Eisen. Im Gegenteil: Der Torhüter ist bereit für neue Aufgaben und hat neben seinem Fulltime-Job als Bundesliga-Keeper nun auch noch einen Posten beim Deutschen Handballbund (DHB) angenommen, wo er künftig Teil eines Torhüter-Kompetenz-Teams ist. «Solange man brennt, möchte ich auf jeden Fall spielen. Dieser unbedingte Wille treibt mich immer wieder an», sagte er. Gedanken an einen Rücktritt vom aktiven Sport verschwende er erst, wenn die Leistung nicht mehr stimmen sollte. Dieser Moment kann durchaus noch einige Jahre in der Zukunft liegen.
Lichtlein hat mehrere Handball-Generationen erlebt, gewann noch Titel unter Heiner Brand und als Routinier und Anführer die EM unter Dagur Sigurdsson 2016. Sich selbst beschreibt der Riese vor allem über die Emotionen. «Auf dem Spielfeld bin ich total ausgeflippt und ein bisschen durchgeknallt. Leidenschaft, Emotionalität und der Wille charakterisieren mich», sagte Lichtlein. Obwohl er schon längere Zeit nicht mehr für das DHB-Team nominiert wurde, nehmen ihn die Spiele richtig mit. «Das lässt einen nicht los. Wir machen es ja ab und zu spannender, das kann ich nicht angucken. Das ist Selbstschutz», schildert Lichtlein.
Die Kontroversen um seine Bundesliga-Rekordmarke, die über Monate immer wieder verschoben wurde, verfolgte er eher belustigt. «Die haben mir dann irgendwann das Spiel gesagt und dann freut man sich», sagte Lichtlein mit einem Schuss Gleichgültigkeit, nachdem die Angaben über die Anzahl der Spiele von Vorgänger Holpert immer wieder korrigiert worden waren. «Ich sage langsam: Die würfeln oder irgendwas mit Lottogewinn und Super 6.»