Im Gegensatz zu Handball-Bundestrainer Alfred Gislason wird Filip Jicha, Coach des Deutschen Meisters THW Kiel, diese Nachrichten mit Wohlwollen aufgenommen haben: Steffen Weinhold erklärt seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft, sein Vereinskollege Hendrik Pekeler legt erst mal eine längere Pause ein.
Da auch Kapitän Uwe Gensheimer abtritt und Torwart-Routinier Johannes Bitter nur noch im Notfall einspringen will, verlieren die deutschen Handballer nach dem enttäuschenden Olympia-Turnier vier langjährige Säulen und stehen nun vor einem radikalen Umbruch.
Bundestrainer Alfred Gislason bemühte sich um Gelassenheit. Er sagte:
„Auf ihren Positionen werden wir neue Spieler mit anderen Qualitäten sehen“, erklärte der Isländer. DHB-Präsident Andreas Michelmann dankte den Routiniers für ihre Leistungen. „Alle vier sind Gesichter unserer Sportart, haben das Publikum begeistert und viele Kinder motiviert, ihnen als kleine Handballer nachzueifern“, sagte der 61-Jährige.
Schwer wird der Verlust von Weltklasse-Abwehrspieler Pekeler (30) und Rückraumspezialist Weinhold (35) wiegen. Und auch der mittlerweile 38-jährige Bitter ist noch immer einer der besten deutschen Torhüter. „Was ich an Steffen und Peke habe, weiß ich seit unserer gemeinsamen Zeit beim THW Kiel“, sagte Gislason über die beiden Profis des deutschen Meisters.
„Und Jogi, den ich noch als jungen Mann beim SC Magdeburg kenne, ist ein extrem erfahrener Torwart.“ Selbst zuletzt in Japan, wo die deutsche Mannschaft bereits im Viertelfinale gegen Ägypten ausgeschieden war und damit die angepeilte Medaille verpasste, zählten Pekeler, Weinhold und Bitter noch zu den besseren Spielern einer ansonsten schwachen Auswahl.
Entscheidung für die Familie
Vor allem Pekeler hatte sich seit seinem Länderspieldebüt im März 2012 Schritt für Schritt zu einem der herausragenden Defensivspezialisten der Welt entwickelt.„Handball hat mich geformt und tut das noch immer, aber ich bin auch Vater von drei kleinen Kindern. Jetzt habe ich mich für meine Familie entschieden, die mich braucht“, sagte Pekeler. Ob er überhaupt nochmal für die Nationalmannschaft auflaufen wird, lässt der Routinier offen. Zunächst wolle er eine „längere Pause“ einlegen, hieß es in einer DHB-Mitteilung. Für die anstehende EM im nächsten Winter wird Gislason also ziemlich sicher nicht mit ihm planen können.
Gensheimer – der Unvollendete
Wenige Monate vor der Europameisterschaft im Januar in Ungarn und der Slowakei steht die DHB-Auswahl damit auf einigen Positionen vor einem personellen Neustart. Der 34-jährige Gensheimer spielte zuletzt beim Olympia-Turnier in Japan zwar nur noch eine Nebenrolle, hatte davor aber jahrelang zu den Stützen des Teams gezählt.
Nach seinem Länderspiel-Debüt im November 2005 feierte er 2016 seinen größten Erfolg im DHB-Trikot, als er mit dem Team Bronze bei Olympia in Rio gewann. Die Krönung blieb dem früheren Weltklasse-Linksaußen der Rhein-Neckar Löwen im Nationalteam aber verwehrt: Beim sensationellen Gewinn des EM-Titels Anfang 2016 hatte er verletzt gefehlt.
Alfred Gislason steht damit nun vor einer besonderen Herausforderung. Innerhalb weniger Monate muss er eine Mannschaft formen, die den Verlust ihrer Routiniers auffangen und im Idealfall auch um den EM-Titel mitspielen kann. Seit dem äußerst erfolgreichen Jahr 2016 sehnt sich der DHB nach dem Gewinn eines weiteren Titels. Immerhin gibt es für den 61-Jährigen zumindest auf einigen Positionen schon Alternativen, mit denen er die Verluste kompensieren könnte.
Abwehrblock mit Wiencek und Golla
Auf Linksaußen hatte Marcel Schiller schon in Japan und auch davor bei der WM in Ägypten häufig den Vorzug vor Gensheimer bekommen. Im Tor bleibt Andreas Wolff die Nummer eins, dahinter dürfte ein Talent wie Till Klimpke nun größere Einsatzchancen bekommen, auch Routinier Silvio Heinevetter ist noch da. Weinholds Rolle könnte der hochveranlagte, zuletzt aber häufig verletzte Fabian Wiede übernehmen. Und in der Abwehr? Patrick Wiencek und Johannes Golla sind die ersten Kandidaten für die Defensivzentrale, doch allein die Ausstrahlung und Souveränität Pekelers werden dem Team fehlen.
Kommentar von Jannik Schappert Uwe Gensheimer, Steffen Weinhold, Hendrik Pekeler, Johannes Bitter – seit mehr als einem Jahrzehnt sind das große Namen im deutschen Handball. Alle vier sind Vorbilder, haben Kinder begeistert und sie dazu animiert, sich im Verein anzumelden. Alle vier haben immer alles für die Nationalmannschaft gegeben. Dass sie zurückgetreten sind oder eine Pause im DHB-Team einlegen – hier wäre ein konsequenter Schlussstrich von Pekeler und Bitter der bessere Weg gewesen –, ist ein Verlust und eine Chance zugleich. Deutschland hat spannende junge Handballer, die nur darauf warten, mehr Verantwortung zu tragen. Auch ein neuer Kapitän, der auf dem Feld wieder mehr Einfluss hat, wird dem Team gut tun. Gensheimer und Nationalmannschaft – das passte trotz aller Verdienste schon länger nicht mehr. |