Stuttgart (dpa) – Die Nachricht von seinem überraschenden Aus als Handball-Bundestrainer traf Christian Prokop völlig unvorbereitet.
Nach einem kurzen Urlaub beschäftigte sich der 41-Jährige schon wieder mit einer ersten Nachbereitung der Europameisterschaft, als er von den Bossen des Deutschen Handballbundes (DHB) über das Ende informiert wurde. Nachfolger wird der frühere Kieler Erfolgscoach Alfred Gislason, der die DHB-Auswahl zu den Olympischen Spielen nach Tokio und dort möglichst zu einer Medaille führen soll.
«Wir haben diese schwere Entscheidung nach reichlicher Abwägung und einer ganzheitlichen Analyse aus Verantwortung für den deutschen Handball getroffen», begründete DHB-Präsident Andreas Michelmann die Trennung.
Eine erfolgreiche Zukunft mit der Nationalmannschaft traute der DHB Prokop elf Tage nach der EM nicht mehr zu. Nach dem fünften Platz war die DHB-Auswahl zum vierten Mal in Serie bei einem Großereignis ohne Medaille geblieben. Mit dem Isländer Gislason soll sich das künftig wieder ändern, der 60-Jährige erhielt einen Vertrag bis einschließlich der EM 2022. Er wird schon an diesem Freitag (11.30 Uhr) in einem Flughafenhotel in Hannover vorgestellt.
Für die kurzfristigen Ziele sei aus DHB-Sicht ein neuer Impuls nötig, sagte Michelmann weiter. «Alfred Gislason steht aufgrund seiner langjährigen Erfahrung und Erfolge für einen solchen Impuls und bringt frische Energie in die Nationalmannschaft.»
Oberste Priorität hat für den Verband die Qualifikation für die Olympischen Spiele im kommenden Sommer in Tokio. Vom 17. bis 19. April muss die deutsche Mannschaft in Berlin ein Qualifikationsturnier gegen Schweden, Slowenien und Algerien bestreiten. Die ersten beiden Teams qualifizieren sich für die Spiele in Japan – und offensichtlich fehlte dem DHB der Glaube daran, dass Prokop dies gelingen kann.
Der Sinneswandel kommt überraschend – auch für enge Wegbegleiter. «Ich glaube, dass Christian Prokop eine richtig gute Europameisterschaft gespielt hat mit der Mannschaft, die hinter ihm steht», sagte Teammanager Oliver Roggisch beim TV-Sender Sky und übte damit leise Kritik. Die Entscheidung des Verbandspräsidiums sei nach außen erst einmal schwer nachzuvollziehen. Roggisch selbst war nach eigener Aussage «in keiner Weise in die Entscheidung eingebunden».
Noch während der EM hatte DHB-Sportvorstand Axel Kromer Prokop das Vertrauen ausgesprochen. «Wir als Verbandsführung wollen klarstellen, dass es intern nie eine Diskussion darüber gab, mit welchem Trainer wir künftig die Nationalmannschaft prägen wollen. Wir werden natürlich mit Christian in Richtung Olympia gehen und die Sommerspiele anpeilen», hatte Kromer am 21. Januar in Wien ungeachtet der größtenteils schwachen Auftritte während der EM-Vorrunde in Trondheim und dem verpassten Medaillen-Ziel gesagt. Nun folgte das Umdenken im DHB-Präsidium, das die Trennung bereits am Montag beschlossen hatte.
Schon während des Turniers hatte es immer wieder, insbesondere von Ex-Nationalspielern, Kritik an Prokop gegeben. Der frühere Welthandballer Daniel Stephan etwa meinte, dass Prokop «nicht der richtige Trainer für diese Mannschaft» sei. Der 2007er-Weltmeister Christian Schwarzer kritisierte den Verband, den vergleichsweise unerfahrenen Prokop Anfang 2017 als Nachfolger von Europameister-Trainer Dagur Sigurdsson verpflichtet zu haben.
Tatsächlich waren bei Prokops erstem Turnier, der EM 2018 in Kroatien, Unstimmigkeiten zwischen Trainer und Mannschaft öffentlich geworden. Doch im Laufe der Zeit schienen beide Seiten sich angenähert zu haben. Nun endet die Zeit des damals vom SC DHfK Leipzig verpflichteten Trainers, der beim DHB noch einen Vertrag bis zum Sommer 2022 besitzt.
Mit seiner Erfahrung soll stattdessen Gislason die DHB-Auswahl zu den Olympischen Spielen führen. Der ehemalige Bundesliga-Spieler hatte zuletzt bis zum vergangenen Sommer den Rekordmeister THW Kiel trainiert, mit dem er während seiner elf Jahre als Coach etliche Titel gewonnen hatte, darunter unter anderem zweimal die Champions League. «Er übernimmt keine einfache Aufgabe, aber er ist eine gestandene Persönlichkeit und hat bei den Spielern aufgrund seiner Erfolge die nötige Akzeptanz», sagte Ex-Bundestrainer Heiner Brand der Deutschen Presse-Agentur. «Er wird etwas bewegen können.»
Sein Debüt wird Gislason am 13. März in einem Testspiel in Magdeburg gegen die Niederlande geben. Vier Tage davor startet der Isländer in Aschersleben mit einem ersten Lehrgang seine Zeit als Bundestrainer.
Bis Ende September habe er den Trainerjob überhaupt nicht vermisst, sagte Gislason jüngst in einem Interview den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. «Aber dann ging es eigentlich schon los. Hätte ich auch nicht gedacht, dass das so schnell kommt», ergänzte er. «Wenn man es das ganze Leben lang gemacht hat, scheint das so fest verankert zu sein, dass es schwierig ist, davon weg zu kommen.» Künftig ist er wieder mittendrin.