Nach dem furiosen Abschluss einer aufreibenden Hinserie in der Handball-Bundesliga hatte Maik Machulla nur ein Bedürfnis. „Ich werde bis Silvester schlafen“, sagte der Trainer der SG Flensburg-Handewitt nach dem 30:27-Sieg über den SC Magdeburg am zweiten Weihnachtsfeiertag auf die Frage, was er in den nächsten Tagen plane.
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Der 44-Jährige war seit dem Sommer auf das Äußerste gefordert, um den Absturz des Vizemeisters ins Mittelmaß zu verhindern. Erschöpft und dezimiert mussten die Flensburger ebenso wie der amtierende Meister THW Kiel mit ansehen, wie sich die Kräfteverhältnisse im deutschen Handball verschoben.
Der SC Magdeburg legte eine Fabelserie mit 16 Liga-Siegen und wettbewerbsübergreifend 28 Spielen ohne Niederlage hin. Wie konnte es zur Ablösung von THW und SG als Platzhirschen kommen? Und wie nachhaltig ist die neue Konstellation?
Neue Saison – alte Flensburger Probleme
„Wir waren um Sekunden an der Meisterschaft vorbei geschrammt“, erinnert Maik Machulla an den dramatischen letzten Spieltag der Saison 2020/21 am 27. Juni. Dass die SG überhaupt den THW noch derart bedrängte, grenzte an ein Wunder nach der nicht enden wollenden Serie von Ausfällen. „Wir haben uns alle gewünscht, dass wir im Sommer einen Cut machen und neu durchstarten können“, sagt der SG-Trainer.
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Er hatte aber geahnt, dass es anders kommen würde, weil die Regeneration in der viel zu kurzen und mit dem olympischen Turnier befrachteten Sommerpause ausfiel. „Es gibt einen Grund, warum Spieler von SG und THW in diesen Vereinen spielen: Weil sie in der Lage sind, über Jahre jeden dritten Tag körperlich und mental abzuliefern“, sagt der Flensburg-Coach.
Die Belastung sei riesengroß. Die WM in Ägypten, Olympia in Japan, Champions League und Bundesliga mit 38 Spieltagen ließen keine Pause zu.
Die Flensburger nahmen alte Probleme mit in die neue Saison. „Spieler sind lange ausgefallen, einige gaben kurze Comebacks, waren dann wieder weg. Dadurch waren für die anderen die Belastungen extrem hoch“, so Machulla. „In den ersten zwei Monaten kam jedes Spiel zum falschen Zeitpunkt. Wir mussten mit drei Rechtshändern spielen, hatten einen neuen Innenblock, mussten immer improvisieren.“
Nach jahrelanger Dominanz von Kiel und Flensburg seien die anderen Mannschaften inzwischen so gut, Schwächen der Topteams auszunutzen. Die SG erfuhr es in den Schlussphasen gegen Erlangen sowie in Göppingen und Balingen, als die Gegner jeweils noch ein Unentschieden erzwangen.
Teitur Einarsson beflügelt die SG
Insgesamt hat die SG die Misere gut bewältigt und steht zum Jahreswechsel mit sieben Minuspunkten sogar besser da als in der Meistersaison 2017/18. Dass die SG noch glimpflich davon kam, führt Machulla vor allem auf eine Nachverpflichtung zurück: „Ganz viel hängt damit zusammen, dass wir das Glück hatten, Teitur Einarsson zu bekommen.“
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Die Linkshänderposition im Rückraum war verwaist, nachdem erst Magnus Röd (Patellasehnenanriss) und dann erneut Franz Semper (Kreuzbandanriss) ausfielen. Die Not war groß. Ruheständler Michael Müller wurde vor allem dazu reaktiviert, die Qualität im Training zu verbessern.
Einarsson sollte ernsthaft spielen. Der 23 Jahre alte Isländer überraschte alle. „Dass Teitur so einschlägt, dass er uns so extrem hilft – spielerisch und vom Typ her –, war so nicht zu erwarten“, sagt Machulla. „Wir konnten wieder unser Spiel spielen.“
Buric und Möller steigern sich
Ein zweiter Grund für die wiedergewonnene Stärke ist die Steigerung der Torhüter. Benjamin Buric und Kevin Möller – beide sehr erfahren, beide mit dem Potenzial zu hoher internationaler Klasse – hatten einen holperigen Saisonstart. Das änderte sich im November. Mit Buric begann beim 28:23-Sieg gegen Berlin die Serie der Torhüter-Galas. Dann glänzte auch Möller und zuletzt war wieder Buric der große Rückhalt. „Wir haben seit sechs Wochen eine Phase, in der wir außergewöhnlich viele Torwartparaden haben“, freut sich Machulla.
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EM als X-Faktor
Seit der Niederlage am 17. Oktober in Magdeburg blieb die SG in elf Spielen hintereinander ungeschlagen. Nach der EM, die wie immer die Gefahr neuer personeller Probleme birgt, geht es mit Hochdruck weiter. Die SG will Zweiter werden, ein fragiles Ziel: „In der Liga haben wir richtig harte Konkurrenz mit den Füchsen Berlin, und über Kiel müssen wir nicht reden. Es kann am Ende trotzdem Platz vier werden“, sagt Machulla, der aber auch den Blick nach oben nicht aufgibt: „Magdeburg ist schon stabil. Aber es ist schön gezeigt zu haben: Die kann man auch schlagen.“
Viel Unruhe beim THW
In der vergangenen Saison wurde der THW Kiel mit acht Minuspunkten Meister. Jetzt haben die „Zebras“ zum Jahreswechsel so viele Zähler eingebüßt. Eine Niederlage bei einem Aufsteiger – Ende Oktober verloren die Kieler 25:29 beim TuS N-Lübbecke – wäre für den THW der Saison 2020/21 undenkbar gewesen. Doch Ausfälle und Nebenkriegsschauplätze haben die Mannschaft von Filip Jicha verwundbarer gemacht.
Als Sander Sagosen und Steffen Weinhold in Corona-Quarantäne waren, ließ der Titelverteidiger einen Punkt in Lemgo liegen und verlor zu Hause gegen Magdeburg. Weite Strecken der Hinrunde wurden von den Gerüchten um Sagosens Wechsel zu Kolstad IL begleitet – der am Tag nach dem Lübbecke-Desaster offiziell verkündet wurde.
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„Diese Phase war schwierig. Wir haben uns gequält und versucht, alles rauszuholen. Aber es kam vieles zusammen. Wir kamen von den olympischen Spielen und hatten keine Pause. Irgendwann holt einen das ein“, sagt Rückraum-Ass Harald Reinkind.
Umbruch verpasst
Wie Flensburg zahlt auch Kiel die Zeche für die Hetzjagd in der vorigen Saison. „Das, was die Jungs an jedem dritten Tag geleistet haben, macht mich unglaublich stolz“, wiederholte Jicha wie ein Mantra. Stolz feit aber nicht vor Unzufriedenheit – und die gibt es in Kiel angesichts der unwahrscheinlichen Titelverteidigung und der kniffligen Ausgangslage im Kampf um einen Champions-League-Platz.
Zur Wahrheit gehört, dass der THW es versäumt hat, sein Team zu verjüngen und neue Impulse zu setzen. Sagosen (26) ist nicht das Kieler Gesicht der Zukunft. Leistungsträger wie Domagoj Duvnjak (33), Steffen Weinhold (35), Hendrik Pekeler (30), Patrick Wiencek (32) oder Niclas Ekberg (33) sind – bei unbestrittener Weltklasse – jenseits der 30. Und sie werden älter.
Warum der SCM so stark ist
Ende 2015 übernahm Bennet Wiegert den Trainerposten beim damals kriselnden SC Magdeburg. Mit Geduld, einem klaren Plan, viel Herzblut und cleverer Personalpolitik formte der 39-Jährige über die Jahre wieder eine Handball-Macht im Osten, die in dieser Saison in ihrem Zenit steht. Ein Rädchen greift ins andere, jeder Spieler passt perfekt ins Anforderungsprofil des rasanten und von Zweikämpfen geprägten SCM-Handballs.
Das Team ist zusammengewachsen und wurde schlau verstärkt – etwa 2020 mit dem Isländer Omar Magnusson, der auf Anhieb Torschützenkönig wurde, oder im Sommer mit dem dänischen Weltmeister Magnus Saugstrup.
Vom Verletzungspech verschont
Anders als Kiel und Flensburg blieb das Wiegert-Team weitgehend von Ausfällen verschont, fast immer standen sieben gesunde Rückraumspieler zur Verfügung. Die Folge war der 16-Siege-Lauf. Nur drei Teams waren besser: der THW in der perfekten Saison 2011/12 (34), die SG 2018/19 (25) und Lemgo 2002/03 (17).
Aber der Blick in die Zukunft wirft Fragen zur Qualität des Kaders auf. Nach der Saison ersetzt Nikola Portner im Tor Jannick Green (nach Paris), das Duo Portner/ Mike Jensen erfüllt nicht die höchsten Ansprüche. Am Kreis ist der Mindener Lucas Meister kein ebenbürtiger Ersatz für Magnus Gullerud (nach Kolstad).
Die Prognose
In der Bundesliga dürfte der SCM auch mit Blick auf das deutlich leichteste Restprogramm nicht mehr aufzuhalten sein – trotz der Niederlage in Flensburg.
Danach ist abzuwarten, wie sich der Club-Weltmeister schlägt, wenn er sich unter der Woche in der Champions League mit den Branchenriesen aus Spanien, Frankreich und Osteuropa misst. Dann wird sich auch zeigen, dass die nationale Dominanz von Wiegerts SCM eine Momentaufnahme ist.