Jetzt dürfte es für Alfred Gislason richtig kompliziert werden. Ein paar Wochen bleiben dem Handball-Bundestrainer immerhin noch, um über seinen Kader für die Olympischen Spiele zu grübeln.
Seine Spieler machen dem Isländer die Entscheidung über die Nominierung schon jetzt nicht leicht. „Ich denke, das wird sogar schwerer“, sagte der 61-Jährige nach dem lockeren 35:20-Erfolg zum Abschluss der EM-Qualifikation in Stuttgart gegen Estland. „Ich habe mich sehr gefreut über die Leistung von Spielern, die beispielsweise bei der WM nicht dabei waren.“
Lediglich 17 Spieler kann Gislason zu den Sommerspielen in Tokio mitnehmen, nur 14 davon dürfen zum Stammkader gehören und im Olympischen Dorf wohnen. Theoretisch könnte er einfach jede Position doppelt besetzen, dann wäre er bei 14 Spielern. Aber freiwillig auf einen der drei starken Kreisläufer Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek und Johannes Golla verzichten? Wohl kaum.
Und was ist mit dem vierten Kreisläufer Jannik Kohlbacher, der gegen Estland im ersten Durchgang seine Offensivqualitäten zeigen konnte? Sollte Gislason nicht auch einen Wackelkandidaten wie Finn Lemke mitnehmen, der nicht nur wegen seiner 2,10 Meter Eindruck macht?
Die kommenden Wochen werden intensiv für Gislason. In der Bundesliga und im Europapokal steht der Endspurt an, und der Isländer wird in diesen Spielen genau auf seine Akteure achten. Auf dem Bildschirm seines Heim-Büros in Wendgräben bei Magdeburg wird er zudem mit der Sichtung der Olympia-Gegner beginnen.
Doch in den Vordergrund rückt das Kaderpuzzle. Wer darf mit zu den Spielen, und wer nicht? Die Esten dienten dem Coach zwar nicht als Maßstab für Tokio, wo es schon in der Gruppenphase gegen Hochkaräter wie Spanien, Frankreich oder Norwegen geht. Dennoch gaben Spieler wie Kohlbacher, Lemke oder Tobias Reichmann gegen den Außenseiter eine Empfehlung ab.
„Der Pool für Tokio ist groß, aktuell bestimmt bei 25 bis 30 Spielern, und wir sind noch nicht kurz davor zu wissen, welche 17 mit nach Tokio reisen“, sagte DHB-Sportvorstand Axel Kromer zuletzt. „Spiele, Training und Saisonverlauf entscheiden, und wir wissen noch nicht, wie groß der Kader für die Tokio-Vorbereitung sein wird.“
Anfang Juli wird die DHB-Auswahl ihr Training für die Spiele aufnehmen. Bevor es Richtung Japan geht, sollen in Deutschland noch mindestens zwei Testspiele absolviert werden. Ein Kadergerüst hat Gislason zwar längst im Kopf. Nun dürfte er sich umso mehr Gedanken darüber machen, welche Qualitäten er für welche Gegner benötigt.
„Ich gehe mal davon aus, dass der Trainer wahrscheinlich schon ein gewisses Konstrukt im Kopf haben wird“, sagte Rückraumspieler Julius Kühn nach dem Sieg gegen Estland. „Aber er hat sich noch nicht gegenüber der Mannschaft geäußert, persönlich mir gegenüber auch noch nicht.“ Noch hält der Bundestrainer sich also bedeckt. Ein paar Wochen bleiben ihm ja noch.