Die Länderspielpause in der Handball-Bundesliga verschaffte Maik Machulla eine seltene Gelegenheit, durchzuatmen. Wobei: So recht gelang dem Trainer der SG Flensburg-Handewitt das nicht. Im Interview erzählt der 44-Jährige, warum ihm das Abschalten schwer fällt, ob ihn Corona als Menschen verändert hat und was er unter guter Mannschaftsführung versteht. Natürlich blickt er auch auf den Titelkampf mit dem THW Kiel.
Herr Machulla, Sie haben immer betont: Handball muss trotz der Pandemie stattfinden. Gilt Ihre Aussage auch in Bezug auf Länderspiele und Olympia?
Grundsätzlich finde ich, dass auch die Nationalmannschaft und die Verbände eine Berechtigung haben, weiter stattzufinden. Dass sie wie wir Vereine aber eine Verantwortung haben, die Spieler so gut wie möglich zu schützen, steht für mich außer Frage.
Wie handhabt die SG das, wenn die Nationalspieler von den Länderspielen zurückkehren?
Die Spieler machen vor der Abreise vor Ort noch einen PCR-Test. Am Montag gibt es in Flensburg keine Zusammenkunft der gesamten Mannschaft, sondern nur einzeln unter strengen Vorkehrungen einen weiteren PCR-Test. Wenn dann am Abend die hoffentlich negativen Ergebnisse vorliegen, wollen wir am Dienstag gemeinsam ins Training starten und anschließend nach Göppingen zum Bundesligaspiel fliegen. Ich hoffe, dass wir mit ein bisschen Glück die Saison komplett durchziehen können.
Was halten Sie von den in der Fußball-Bundesliga beschlossenen Quarantäne-Trainingslagern für die Mannschaften?
Nichts. Die Spieler haben genug investiert und genügend Einschnitte in ihrem Privatleben hingenommen. Die Toleranzgrenze ist aus meiner Sicht erreicht. Wir sollten uns weiterhin an unser Hygienekonzept halten und eventuell ein paar Mal häufiger testen. Ein Quarantäne-Trainingslager wäre auch keine Garantie dafür, dass nichts passiert.
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Corona hier, Corona da. Wie hat das Virus den Menschen Maik Machulla verändert?
Ich merke in gewissen Momenten, dass ich etwas dünnhäutiger geworden bin. Ständig ergeben sich neue, unvorhersehbare Situationen, auf die man schnell reagieren muss. Das kostet mental viel Kraft. Zudem sind die kleinen Oasen, die man sich zum Energie tanken geschaffen hat – der Auslandsurlaub im Januar oder der Wochenendtrip in der Länderspielwoche – weggefallen. Mich hat Corona dahingehend verändert, dass ich noch mehr Vertrauen in die eigene Stärke habe und noch kreativer arbeite. Ich sehe mehr die Herausforderung als das Problem. Ich denke, ich bin noch immer der gleiche positive Typ wie vor Corona.
Wie gehen Sie mit unvorhersehbaren Situationen um?
Ich glaube, ich habe einen guten Weg gefunden. Man muss die Dinge so akzeptieren wie sie sind und sagen: Wir machen das Beste daraus. Das ist besser, als zu lamentieren und zu jammern und in Selbstmitleid zu versinken.
Sie als gebürtiger Greifswalder und langjähriger Magdeburger leben jetzt schon seit neun Jahren im hohen Norden. Was bedeutet Ihnen Flensburg?
Die Region ist schon so etwas wie meine zweite Heimat geworden. Es ist schön, hier zu leben. Ich bin aber nicht der Typ, der sagt: Mein Wohlbefinden hängt von einem bestimmten Ort ab. Wichtig sind die Menschen, die man trifft, wichtig ist die Aufgabe, die man hat. Und dass sich alle in meinem engeren Umfeld wohlfühlen. Das ist momentan der Fall. Mein Vater hat mal zu mir gesagt: Der Fischkopp ist wieder dahingekommen, wo er herkam. Recht hat er. Die Küste, das Wasser – das sind meine Wurzeln.
Das hört sich nicht nach baldigem Abschied aus Flensburg an. Ihr Vertrag ist bis Sommer 2023 datiert, Sie sind ein begehrter Trainer…
Ich denke, die SG weiß, was sie an mir hat. Und ich weiß, was ich an der SG habe. Bis 2023 sind es noch zwei Jahre. Zu gegebener Zeit werde ich mir meine Gedanken machen, aber aktuell zählt für mich nur, dass wir als Mannschaft und als Verein unsere sportlichen Ziele erreichen.
Gedanken machen Sie sich aber permanent über Handball. Wie schalten Sie denn mal ab und entspannen sich?
Das klappt seit vier Jahren nicht wirklich. Das ist eine Schwäche von mir. Was die Mannschaft betrifft, versuche ich immer, Dinge zu optimieren. Ich grübele auch in der Freizeit viel über den Handball. Ich habe einen hohen Anspruch an mich selbst und zugleich eine hohe Erwartungshaltung an mein Team. Zugegeben: Es fällt mir schwer, abzuschalten. Ich merke, dass diese Erholungsphasen bei mir sehr kurz sind. Daran muss ich arbeiten.
Was könnte das heißen?
Auf meiner To-Do-Liste könnte irgendwann mal das Wort „Sabbatical“ stehen. Ein ganzes Jahr raus. Viele der großen Trainer wie Pep Guardiola haben das getan. Ein Projekt beenden, eine Pause einlegen, Akkus auffüllen und weiter geht’s.
Aber das hat noch Zeit?
Absolut. Stand jetzt ist mein Tank voll. Und: Ich möchte diese tolle Mannschaft in naher Zukunft ungern jemand anderem übergeben. Dazu habe ich zu viel investiert. Ich will unbedingt dabei sein, wenn wir die Früchte unserer Arbeit ernten können.
Apropos Guardiola. Was zeichnet einen guten Trainer aus?
Wichtig ist: Der Trainer muss zum Verein und dessen Kultur und Philosophie passen. Auch ein Pep Guardiola würde nicht in jedem Club klarkommen. Ein hohes Fachwissen ist natürlich Voraussetzung, um ein guter Trainer zu sein. Aber das allerwichtigste Kriterium ist: Menschenführung.
Was steckt dahinter?
Wenn man es schafft, alle Spieler mitzunehmen und dabei dennoch jeden individuell zu betrachten, dann ist viel gewonnen. Ein guter Trainer sollte ein Menschenfänger sein. Am Ende geht es nicht nur um Taktik und Trainingsmethodik. Wichtig ist, dass man eine komplette Mannschaft motiviert, sich 60 Minuten auf der Platte für den Verein und die Mitspieler zu zerreißen und dass jeder Einzelne die Verantwortung für das große Ganze spürt. Wenn du diese Mentalität entwickelst, kannst du als Trainer weit kommen.
Wie bilden Sie sich in Sachen Personalführung fort?
Ich habe mich sehr mit dem Thema beschäftigt und dabei einige Bücher von erfolgreichen Trainern gelesen. Wie haben sie gearbeitet? Was hat sie ausgezeichnet? Ein Pat Riley in der NBA oder ein Johan Cruyff beim FC Barcelona haben Generationen von Trainern beeinflusst. Sie hatten unterschiedliche Ansätze, doch allen bei allen Erfolgscoaches war eins gleich: Sie haben die Spieler als Menschen gesehen. Ein Trainer muss zur Erkenntnis gelangen: Die Jungs sind nicht nur hier, um Geld zu verdienen. Sie wollen respektiert werden und gemeinsam Ziele erreichen.
Gibt es Trainer, an denen Sie sich orientieren?
Leider habe ich nur sehr wenig Zeit dazu, anderswo zu hospitieren. Dabei bin ich sehr daran interessiert, in anderen Sportarten Denkanstöße zu bekommen. Zu schauen, wie es etwa die Basketballer oder Eishockeyspieler machen und was wir von ihnen lernen können. Im Handball finde ich den Spanier Manolo Cadenas spannend, der viele interessante taktische Sachen gemacht und sich immer wieder neu erfunden hat.
Wie ist ihr Verhältnis zu THW-Coach Filip Jicha?
Sehr respektvoll. In der Zeit, als es auf der Kippe stand, ob die Liga starten kann, haben wir viel miteinander geredet. Wir beide als Champions-League-Teilnehmer haben ja andere Prioritäten und Interessen als die übrigen Bundesligisten. Jetzt während der Saison gibt es wenig Austausch. Man muss ja auch sagen: Wir sind direkte Konkurrenten. Es geht um sehr viel.
Nämlich um die Meisterschaft. Erneut ziehen beide Nordclubs an der Tabellenspitze einsam ihre Kreise und machen den Titel unter sich aus. Wie kommt das?
Beide Mannschaften haben es aus meiner Sicht am besten geschafft, sich auf die Situation einzustellen, die vielen Nebengeräusche auszublenden und sich auf den Sport zu konzentrieren. Natürlich sind 10000 Zuschauer in der Kieler Halle und 6000 Fans in der Flens-Arena ein wichtiger Faktor, der nun fehlt, aber letztendlich geht es trotzdem um Handball.
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Welche Qualität Ihrer Truppe würden Sie hervorheben?
Die Qualität, auch dreckige Spiele, in denen du Handball arbeiten musst, zu gewinnen. Diese Konstanz haben wir uns hart erarbeitet. Wir besitzen nun das nötige Selbstvertrauen, auch in kritischen Situationen die Ruhe zu bewahren und an unsere Stärke zu glauben. Wir wissen genau: Wenn wir über 60 Minuten unsere Leistung bringen, sind wir oft die bessere Mannschaft.
Welcher Ihrer Spieler hat Sie bislang am meisten positiv überrascht?
Mads Mensah hat eine tolle Entwicklung genommen. Bei den Löwen hatte man zuletzt nicht so viel Spielfreude bei ihm gesehen. Bei uns ist er sowohl auf der Platte als auch in der Kabine ein echtes Energiebündel. Jim Gottfridsson macht jede Saison einen Schritt nach vorn in Punkto Auftreten, Persönlichkeit und Spielführung – ein absoluter Leader auf dem Feld. Und über Johannes Golla brauchen wir keine Worte mehr zu verlieren.