Es war Wahnsinn. Flensburg spielte wochenlang verrückt.“ Die Geschehnisse von damals sind im Gedächtnis von Kapitän Sönke Voß immer noch sehr präsent. Leuchtende Augen bekommt auch sein damaliger Teamkamerad Hans Jürgen Zastera, wenn er an diesen besonderen Tag denkt: „Flensburg befand sich danach einige Wochen in Aufruhr, das war einmalig für unsere Zeit.“ Gemeint ist der 20. März 1971.
Fundament gelegt
Genau vor 50 Jahren gelang dem Flensburger Turnerbund (FTB), ein Vorläufer des TSB Flensburg und damit der SG Flensburg-Handewitt, ein 14:13-Sieg im dritten und entscheidenden Spiel gegen Münster 08 und damit der Aufstieg in die Handball-Bundesliga. Es war das erste Mal, dass ein Verein der hiesigen Region der Sprung in die höchste deutsche Spielklasse (damals noch zweigeteilt) schaffte. „Wir haben Flensburger Sportgeschichte geschrieben“, sagt Sönke Voß stolz. Und das Fundament für den Spitzenhandball in der Fördestadt gelegt.
Bis der FTB als Meister der Regionalliga Nord am „Ziel seiner Träume“ war, musste er einen harten Weg zurücklegen. Am 7. März 1971 stieg das erste Duell in der Bundesliga-Relegation gegen Westmeister Münster 08. Es hätten gut und gern 3000 Karten verkauft werden können. Auf dem Schwarzmarkt wurden bis zu 30 D-Mark für ein Ticket geboten. Die Flensburger agierten dominant und feierten einen 27:13-Kantersieg. Eine Woche später folgte die Ernüchterung: Im Rückspiel in Münster setzte es für den FTB, begleitet von 500 Schlachtenbummlern in einem Sonderzug, eine 13:21-Niederlage. Das bessere Torverhältnis zählte nicht, eine dritte Partie auf neutralem Boden – in Hamburg – musste den Ausschlag geben.
Heimspiel in Hamburg
Und die ging am 20. März 1971 über die Bühne: Über 1300 Flensburger bevölkerten die Alsterdorfer Sporthalle. „Vielleicht waren die Zuschauer entscheidend, dass wir das Flensburger Bundesliga-Schiff zum Schwimmen brachten“, sagt Knut Börnsen rückblickend. Auch Sönke Voß spricht von einem „Heimspiel für uns“.
Allerdings hatten die Flensburger mit großer Nervosität zu kämpfen. Münster war beim 11:9 auf Bundesliga-Kurs, hatte aber die Rechnung ohne Dieter Liesch gemacht, der mit drei Treffern die Wende besorgte. Hans-Joachim Krüger erhöhte, Münster verkürzte auf 14:13. Dabei blieb es in einer turbulenten Schlussphase inklusive vierminütiger Nachspielzeit und Fansturm der Spielfläche.
Party im Grogkeller
Jubel, Trubel, Heiterkeit: Flensburg im siebten Handball-Himmel! Im Mannschaftsbus ging es zurück in die Heimat, wo der „Grogkeller“ am Südermarkt als Anlaufstation diente. In und vor der Bar stieg die Aufstiegssause. „Wir haben die Nacht zum Tag gemacht“, erinnert sich der heute 80 Jahre alte Sönke Voß.
Dieser Coup musste gebührend gefeiert werden. Kam er doch unter erschwerten Bedingungen zu Stande. Die FTB-Handballer waren lupenreine Amateure, verdienten als Werft-Facharbeiter, Dachdecker, Maurermeister, Lehrer, Soldat oder Polizist ihre Brötchen und konnten erst spät abends nach der Arbeit trainieren.
Blazer als Aufstiegspräsent
Dies taten sie in unterschiedlichen Hallen: mal an der Pädagogischen Hochschule, dann in der Duburghalle oder an der Fernmeldeschule. Werbung auf Trikots oder auf Banden gab es noch nicht. „Wir bekamen 30 Mark Spesen, um auf Auswärtstouren das Essen zu bezahlen“, berichtet Voß. Und nach dem Aufstieg erhielt jeder Spieler einen dunkelblauen Blazer mit FTB-Logo, um bei repräsentativen Anlässen einheitlich gekleidet zu sein. Wie etwa beim Empfang im Rathaus wenige Tage später, wo Oberbürgermeister Heinz Adler und Stadtpräsident Artur Thomsen die Aufstiegshelden ehrten – und ihnen in diesem Rahmen den Bau einer neuen, großen Halle in Aussicht stellten.
Diese Pläne verliefen sich jedoch im Sand. In der anschließenden Bundesliga-Saison, an deren Ende der Wiederabstieg mit nur drei Punkten auf dem Habenkonto stand, wurden alle Heimspiele in der mit 1200 Zuschauern rappelvollen Idraetshalle ausgetragen, wo namhafte Clubs wie der VfL Gummersbach, THW Kiel, GW Dankersen oder HSV ihre Visitenkarten abgaben.
Toller Teamgeist
Es waren Erlebnisse für die Ewigkeit. „Wir sind zwar in Sachen Dynamik und Athletik nicht mit den heutigen Profi-Handballern zu vergleichen, aber unsere Wurfhärte konnte sich schon sehen lassen“, sagt Sönke Voß augenzwinkernd. Außergewöhnlich ausgeprägt war allerdings der Teamgeist der Truppe, die sich auch nach dem Ende der aktiven Karriere nie aus den Augen verlor. Einige Akteure treffen sich gegenwärtig – wenn nicht gerade Pandemie herrscht – donnerstags zum Altherrenfußball in der Duburghalle und zum anschließenden Bier in der TSB-Vereinsgaststätte.
Ein Treffen der alten Kameraden anlässlich des 50. Jubiläums war aufgrund Corona nicht möglich. „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, sagt Sönke Voß.