Frankfurt/Main (dpa) – Alfred Gislason erreicht man in diesen Tagen telefonisch auf seinem Hof in Wendgräben unweit von Magdeburg. Doch ursprünglich wollte der Handball-Bundestrainer in dieser Woche mit der DHB-Auswahl in Berlin das Olympia-Ticket lösen.
Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht der 60-Jährige über die schwierige Situation und seine Hoffnungen auf einen Neustart.
Frage: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?
Antwort: Sehr gut. Ich habe mich wie alle Nationalspieler testen lassen und war negativ. Gott sei Dank.
Frage: Sie sind mit großem Enthusiasmus und viel Elan in Ihre Amtszeit gestartet und dann voll ausgebremst worden. Wie schwer fällt es, die Füße und Hände still zu halten?
Antwort: Ich hatte mir das natürlich anders erträumt. Diese Zwangspause hat niemand vorhersehen können. Das ist eine schwierige Situation. Aber ich habe in den vergangenen Wochen zumindest alle Spiele unserer nächsten Gegner auf Video angeschaut und analysiert, damit ich die Mannschaft darauf vorbereiten kann. Das Eigenartige ist dabei, dass man nicht weiß, wann diese Gegner auf einen zukommen.
Frage: Sie haben sich nach Ihrem Abschied aus Kiel im vergangenen Sommer ein gutes halbes Jahr lang eine Auszeit vom Handball genommen und in dieser Zeit viele private Dinge erledigt, die zuvor liegengeblieben waren. Nun haben sie wieder viel Freizeit. Womit füllen Sie die?
Antwort: Wir nutzen die Chance und arbeiten im DHB perspektivisch, zum Beispiel mit einer großen Videokonferenz mit allen Top-Schiedsrichtern zur Regelauslegung. Sonst mache ich wie alle in Deutschland das, was möglich ist in Haus und Garten. Und natürlich versuche ich, so wenig Kontakt zu anderen Menschen zu haben wie möglich, damit man sich nicht ansteckt.
Frage: In dieser Woche hätten Sie mit der DHB-Auswahl in Berlin ursprünglich um das Olympia-Ticket gespielt. Trauern Sie diesem auf unbestimmte Zeit verschobenen Highlight ein wenig hinterher?
Antwort: Derzeit ist es wichtiger, dass die Ansteckungskurve in der Coronavirus-Pandemie so niedrig wie möglich gehalten wird. Wir hätten ab Montag ein Trainingslager mit der Nationalmannschaft gehabt. Wann die Olympia-Qualifikation gespielt wird, weiß niemand. Das ist schwierig für alle – vor allem für die Sportler, die nicht einmal trainieren können. Aber das ist nun einmal die Situation.
Frage: Haben Sie derzeit Kontakt mit den Nationalspielern?
Antwort: Eher wenig. Die Spieler sind jetzt alle mit der Situation in ihren Vereinen beschäftigt. Ich lasse sie momentan in Ruhe, weil ich auch gar keine Ahnung habe, wann der nächste gemeinsame Termin sein wird. Anfangs hatte ich gehofft, dass wir vielleicht in Quarantäne zusammen hätten trainieren können. Aber das ging nicht. Natürlich hoffe ich, dass wir im Sommer einen Lehrgang mit der Nationalmannschaft hinbekommen. Aber ob das klappt, weiß ich nicht. Keiner weiß doch, was auf uns zukommt.
Frage: Die WM 2021 in Ägypten ist Stand jetzt das nächste Großereignis. Wie schätzen Sie die Ukraine als deutschen Gegner in der Playoff-Qualifikation ein?
Antwort: Generell ist es viel zu früh, schon im Detail über die WM-Playoffs oder die Olympia-Qualifikation zu sprechen, weil wir nicht wissen, wann die stattfinden. Aber ich habe alle Spiele der Ukraine bei der EM 2020 analysiert. Das ist eine gute Mannschaft, die ein bisschen anders spielt als die meisten Teams. Im Angriff nehmen sie fast immer den Torwart heraus und spielen Sieben gegen Sechs. Damit muss man klarkommen. Aber wir gehen trotzdem als Favorit in diese Begegnungen.
Frage: Bereiten Sie sich auch auf ein Szenario vor, dass die DHB-Auswahl möglicherweise Geisterspiele austragen muss?
Antwort: Nein.
Frage: Der DHB hat einige Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken müssen. Sind Sie auch davon betroffen?
Antwort: Bisher nicht.
Frage: Die Bundesliga will spätestens Ende April entscheiden, ob die Saison noch zu Ende gespielt wird. Würden Sie für den Fall einer Fortsetzung zu einzelnen Spielen fahren, um die Nationalspieler zu beobachten?
Antwort: Das wird eher nicht möglich sein, weil die Spiele – wenn überhaupt – sehr wahrscheinlich ohne Zuschauer stattfinden werden. Ich werde das dann zu Hause am Fernseher verfolgen.
Frage: Wirtschaftlich trifft die Corona-Krise die Vereine hart. Befürchten Sie bleibende Schäden für den Handball?
Antwort: Der gesamte Profisport wird eine Weile brauchen, um wieder in den normalen Betrieb zurückzufinden. Aber das gilt für alle Bereiche der Gesellschaft.
ZUR PERSON: Alfred Gislason (60) absolvierte als Spieler 190 Länderspiele für Island und wurde mit TuSEM Essen zweimal deutscher Meister. In seiner Erfolgskarriere als Trainer gewann er mit dem SC Magdeburg und THW Kiel unter anderem dreimal die Champions League und sieben Meistertitel. Seit dem 6. Februar ist der verheiratete Familienvater Bundestrainer.