Aschersleben (dpa) – Auf der kurzen Anreise zum ersten Arbeitstag war Alfred Gislason noch guter Dinge und voller Vorfreude.
Einige Stunden später gab es für den Handball-Bundestrainer zum Start in die neue Ära gleich einen mächtigen Stimmungsdämpfer. Ausgerechnet beim Gislason-Debüt an der alten Wirkungsstätte in Magdeburg droht der DHB-Auswahl am Freitag ein Geisterspiel gegen die Niederlande.
Die Stadt Magdeburg und das zuständige Gesundheitsamt untersagten am Montag alle Veranstaltungen mit mehr als 1000 Zuschauern in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt. Die Regelung gelte bis auf Weiteres und solle den Ausbruch bzw. die Weiterverbreitung des Coronavirus einschränken, teilte die Stadt mit.
«Als Handballer blutet mir das Herz, aber wir stellen uns als Deutscher Handballbund natürlich unserer gesellschaftlichen Verantwortung», sagte DHB-Präsident Andreas Michelmann. Man werde sich nun mit dem Gesundheitsamt austauschen, «um angesichts der neuen Lage eine bestmögliche Lösung für alle Beteiligten zu finden». Er stellte aber klar: «Das Länderspiel gegen die Niederlande wird am Freitagabend weiterhin stattfinden.»
Nur eine Autostunde vom heimischen Hof in Wendgräben entfernt hatte Gislason am Nachmittag die DHB-Auswahl zum Vorbereitungslehrgang in Aschersleben versammelt. Dort will der 60 Jahre alte Nachfolger des Anfang Februar beurlaubten Christian Prokop erste Akzente setzen. «Wir wollen einiges testen und ich habe auch Ideen, wie ich das machen möchte», kündigte Gislason an. «Ich habe ganz viel Bock darauf.»
Viel Zeit bleibt dem Isländer nicht, den EM-Fünften für die Mitte April anstehende Olympia-Qualifikation fit zu machen. Nach eigener Aussage braucht er die aber auch gar nicht. «Aus 22 Jahren in der Bundesliga kenne ich alle Spieler sehr gut», gab Gislason schon bei seiner offiziellen Vorstellung vor gut vier Wochen zu Protokoll.
Seit seiner überraschenden und von allerlei Nebengeräuschen begleiteten Verpflichtung hat er sich mit Feuereifer in die neue Aufgabe gestürzt. Ausführliche Videoanalysen und intensive Gespräche mit Spielern und Vereinen standen zunächst auf dem Programm. «Ich will die Mannschaft sehr gut auf die Olympia-Qualifikation vorbereiten. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe», sagte Gislason.
Immerhin erwartet der Deutsche Handballbund von ihm schon bei den Sommerspielen in Tokio Edelmetall, das unter seinem Vorgänger zuletzt stets ausblieb. «Wir sehen mit Alfred Gislason größere Erfolgschancen als mit Christian Prokop», hatte Präsidiumsmitglied Uwe Schwenker den Trainerwechsel nach der EM begründet.
Gislason kann mit dieser Erwartungshaltung gut umgehen. «Ich habe Druck meistens als etwas Schönes empfunden», sagte der frühere Erfolgstrainer des SC Magdeburg und des deutschen Rekordmeisters THW Kiel. Schwenker macht sich ebenfalls keine Sorgen. «Er ist ein Fels in der Brandung», sagte der Liga-Boss über Gislason.
Richtig ernst wird es für die DHB-Auswahl Mitte April in der Olympia-Ausscheidung gegen Rekord-Europameister Schweden, den EM-Vierten Slowenien und Algerien. Gislason brennt auf die Aufgabe, nachdem er im Sommer 2019 von der Bundesliga-Bühne abgetreten war und sich um all die privaten Dinge gekümmert hatte, die in den Jahren zuvor liegen geblieben waren. «Ich habe 22 Jahre lang ohne Unterbrechung in der Bundesliga gearbeitet. Das ist eine unglaublich intensive Zeit gewesen. Ich bin froh, dass ich die Pause gemacht habe. Sie war sehr nötig», sagte er über seine Auszeit.
Doch der Wunsch nach einem Comeback stellte sich bei ihm schneller ein als gedacht. «Was ich nicht erwartet habe war, dass ich nach drei, vier Monaten die Schnauze voll davon hatte», berichtete er. «Es hat richtig gejuckt. Ich habe gemerkt, welch großer Bestandteil meines Lebens der Handball ist.» Die neu gewonnene Energie will er nun auf die Mannschaft übertragen.