Frankfurt/Main (dpa) – Sightseeing in New York, Stippvisite im «Sportstudio» in Mainz und jede Menge Freizeit an Weihnachten – so richtig unter Strom steht Andreas Wolff vor der Handball-EM noch nicht.
Während seine Nationalmannschaftskollegen in der Bundesliga von einem Spiel zum nächsten hetzen und am zweiten Weihnachtsfeiertag sowie zwei Tage vor Silvester noch zweimal ran müssen, befindet sich der Torwart des polnischen Topclubs Vive Kielce bereits seit drei Wochen in der Wettkampfpause. «Ich bin definitiv sehr entspannt», sagte Wolff.
So ganz recht ist ihm das aber nicht. «Ich habe mehr freie Tage als mir lieb ist, gerade in der Vorbereitung auf solch ein Turnier», bekannte Wolff. Um das EM-Feeling langsam aufzubauen, wird der Europameister von 2016 daher nach den Feiertagen ein individuelles Torwarttraining bei Bundestrainer Christian Prokop absolvieren. «Ich habe das Glück, dass wir mit Christian einen sehr engagierten Trainer haben, der mich zwei Tage in Leipzig empfängt», berichtete Wolff am vergangenen Samstag im «Aktuellen Sportstudio» des ZDF.
Bei der Endrunde vom 9. bis 26. Januar in Norwegen, Österreich und Schweden wird die DHB-Auswahl einen Wolff in Topform benötigen, um das Ziel Halbfinale zu erreichen. «Er ist ein Torhüter, dem ich sehr viel Vertrauen entgegenbringe, weil er zu außergewöhnlichen Leistungen imstande ist», sagte Prokop der Deutschen Presse-Agentur.
Nach der sportlich unbefriedigenden Zeit beim deutschen Rekordmeister THW Kiel, wo Wolff neben Dänemarks Weltmeister-Keeper Niklas Landin nur wenig Einsatzzeiten erhielt, hat der 28-Jährige durch den Wechsel nach Kielce wieder einen Karriere-Schub bekommen. «Durch das neue Umfeld und neue Impulse von Trainer Talant Duschebajew habe ich mental einen Schritt nach vorne gemacht und kann nach Misserfolgen noch schneller abschalten», berichtete Wolff.
Sein Ehrgeiz hat ihn in seiner Laufbahn schnell nach oben gebracht, dann aber auch immer wieder gebremst. «Natürlich geht mit Ehrgeiz auch Verärgerung einher, wenn es mal nicht auf Anhieb klappt. Das war in der Vergangenheit bei mir so», sagte Wolff im Rückblick. «Gerade in Kiel, wo ich mit meiner sportlichen Situation unzufrieden war, weil ich kaum gespielt habe. Dann steigert man sich noch mehr in Negativerlebnisse hinein.»
In Kielce fühlt er sich nun wohl – privat und sportlich. Wolff spricht bereits ein wenig Polnisch, wobei sich das nach eigener Aussage aufs Handball-Vokabular beschränkt, und führt seine neue Mannschaft als Kapitän an. «Nach etwas Anlaufschwierigkeiten hat er jetzt seine Form rechtzeitig gefunden», stellte Prokop zufrieden fest.
Auch wenn sich der Bundestrainer – anders als bei der Heim-WM – nicht auf den gebürtigen Rheinländer als Nummer eins festgelegt hat, weiß er doch, was er an dem 1,98-Meter-Hünen hat. «Man muss ihn nie motivieren», lobte Prokop. Mittlerweile bekomme Wolff auch den Spagat zwischen Anspannung und Entspannung besser hin. «Bei zwei, drei nicht gehaltenen Bällen cool zu bleiben und sich wieder auf die Stärken zu besinnen – da hat er wichtige Entwicklungsschritte nach vorne gemacht», sagte Prokop.
Der Bundestrainer befindet sich im ständigen Austausch mit Wolff, der in seiner Freizeit gerne an der Spielekonsole zockt. Bei der EM wird die Reaktionsfähigkeit des Klasse-Keepers, der gemeinsam mit Routinier Johannes Bitter das deutsche Torwartgespann bildet, dann auf dem Parkett gefragt sein. «Ich will gemeinsam mit ihm versuchen, die vom Bundestrainer geforderte Leistungssteigerung umzusetzen, damit wir bestenfalls den Titel holen», sagte Wolff. Denn an seinem Gold-Ziel lässt er keinen Zweifel: «Ich fahre zu Turnieren, um sie zu gewinnen.»